Das Zeitalter des digitalen Handwerks
Interview von Jasmin Presser-Velder, freie Texterin und Online-Journalistin
Das Handwerk auf digitalen Pfaden….. -Ein Gastbeitrag-
Unaufhaltsam und in allen Bereichen unseres Alltags schreitet sie voran: die digitale Transformation. Sie beeinflusst unser Leben in jeglicher Hinsicht, hat unsere Kommunikation stark verändert und prägt die Art, wie wir uns heute informieren. Kurzum: Die Digitalisierung ist nicht mehr wegzudenken. Dies gilt auch für die Bedürfnisse von Kunden und deren Konsumverhalten, denn eine Vielzahl an Produkten sowie auch Dienstleistungen werden mittlerweile einfach und bequem online bezogen. Welche Folgen hat dies für das traditionelle Handwerk? Welche Erwartungen ergeben sich daraus an Service und Dienstleistung, wenn der Kunde es gewohnt ist, unbegrenzten Zugang zu maßgeschneiderten Antworten auf seine Fragen und zu Produkten serviert zu bekommen? Die hohe Verfügbarkeit an individueller Unterstützung sowie die schnelle und anwenderfreundliche Lösung von Problemen zwingen auch das Handwerk dazu, neue Wege zu gehen und alte Pfade zu verlassen. Das Handwerk muss sich an die neuen Kundenbedürfnisse anpassen, denn durch die Digitalisierung treten natürlich auch neue Wettbewerber auf den Markt, die den Wettbewerbsdruck auf die traditionellen Unternehmen erhöhen. Es gilt, neue Potentiale für das eigene Wachstum herauszuarbeiten und zu nutzen. Wie das aussehen kann, erzählt uns Jochen Streinz, Geschäftsführer der Tischlerei Seehafer in Hamburg.
Wie schafft ein Handwerksunternehmen die digitale Transformation?
Im Grunde ist es jedem handwerklichen Unternehmen möglich, den Sprung in die Digitalisierung zu meistern. Dafür braucht es vor allem eines: Menschen, die offen für Neues sind, die keine Angst vor Technik oder vor digitalen Prozessen haben und die „digital denken“ können. Wir müssen uns heute von den alten Traditionen verabschieden, die einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Arbeitsprozesse müssen anders und neu gedacht werden, sodass digitale, neue Tools eingesetzt werden können.
Für uns und unser Unternehmen spielt die Digitalisierung eine sehr große Rolle. Daher haben wir das Thema bereits im Fragebogen für unsere Bewerber eingebaut, um direkt die richtigen Menschen und Mitarbeiter auswählen zu können. Darüber hinaus sprechen wir heute unsere potentiellen neuen Arbeitnehmer über die sozialen Netzwerke an und rekrutieren auch hierüber. Die klassische Stellenanzeige gehört quasi der Vergangenheit an.
Wie genau sieht Ihre digitale Unternehmensstrategie aus?
Wir haben uns vorgenommen, nach und nach digitale Tools ins Unternehmen einzuführen. Dabei setzen wir unseren Fokus in erster Linie auf die Einsparung von Zeit. Es geht uns nicht darum, günstiger, sondern schneller zu werden.
Meine Vermutung ist es, dass die Zeitersparnis das Thema der Zukunft wird. Bereits heute stelle ich fest, dass der Kunde bei seiner Anfrage direkt wissen möchte, ob wir eine Dienstleistung in einem bestimmten Zeitfenster erbringen können. Die Kosten sind dabei häufig zweitrangig und Schnelligkeit ist eine der Hauptanforderungen an uns als Dienstleister.
Welche Tools nutzen Sie in Ihrem Unternehmen?
Die CAD-Software ist bei uns bereits seit Jahren Standard. Mit ihr zeichnen wir Innenräume oder fertigen Detailzeichnungen an.
Des Weiteren haben wir CNC-Maschinen angeschafft, um unsere Arbeitsprozesse deutlich zu beschleunigen und um optimal Serien fertigen zu können. Bei unserer CNC-Maschine handelt es sich um eine Fünf-Achs-Maschine, mit der unsere Tischler in alle Richtungen fräsen können. So können wir jegliche Kundenwünsche bedienen.
In naher Zukunft führen wir weiterhin ein Zeiterfassungstool ein. So wissen wir: Wann kommt und geht der Mitarbeiter? Wann macht er Pause? An welchen Projekten arbeitet er gerade? Dadurch entfällt der wöchentliche Stundenzettel, den es bisher gab. Stattdessen erstellt jeder Mitarbeiter täglich mittels seines Smartphones alle Dokumente digital und wir können wiederum in Echtzeit sehen, womit unsere Mannschaft gerade beschäftigt ist.
Ein weiteres sehr wichtiges Tool, an dem wir gerade arbeiten, ist die Auftragsmanagement-Software für die Erfassung der Stammdaten unserer Kunden: Vom Angebot bis hin zur Rechnung wird alles über dieses Tool abgewickelt. Papier entfällt komplett.
Ich erkläre dies gern an einem konkreten Beispiel: Unser Kundendienst bekommt von einem Kunden einen Anruf über einen Einbruchschaden. Der Kunde möchte verständlicherweise so schnell wie möglich eine neue Haustür bekommen. Mittels unseres Tools können wir ihm direkt am Telefon Auskunft über unsere Konditionen wie bspw. die Kosten geben. Der Kunde kann uns dann direkt am Telefon den Auftrag erteilen und wir schicken – ähnlich wie es bei Taxifahrern der Fall ist – über eine Auftragsübermittlung auf sein Tablet einen Fahrer los. Ein Anruf entfällt dabei und spart wieder Zeit. Unser Mitarbeiter kann sich somit direkt auf den Weg zum Kunden machen bzw. sieht, in welchem Zeitfenster der Auftrag fertiggestellt werden soll. Nach der Reparatur kann unser Mitarbeiter direkt vor Ort weitere Daten wie bspw. Arbeitsstunden händisch ins Tool eingeben und unser Auftraggeber kann sofort unterschreiben. Unser Mitarbeiter schickt das fertige Dokument ab und auch der Kunde hat unmittelbar danach seine Rechnung im E-Mail-Postfach. Der ganze Aufwand um Auftragszettel entfällt und wir sparen und schonen extrem viel Zeit, Aufwand und Ressourcen. Hierbei möchte ich betonen, dass wir keinen Ressourcenabbau betreiben! Wir nutzen dann vielmehr unsere gewonnene Zeit für einen verbesserten Service an unserem Kunden.
Als letztes, aber nicht minder wichtig, führen wir ein Projekt-Controlling-Tool ein. Dieses hilft uns dabei, Kosten, Ressourcen und unser Zeitmanagement in Echtzeit im Blick zu haben, sodass wir bei Problemen oder wenn etwas nicht nach Plan läuft, rechtzeitig gegensteuern können.
Sehen Sie auch Nachteile in der voranschreitenden Digitalisierung des Handwerks?
Ein Nachteil ist die hohe Investitionssumme, die ein Unternehmen stemmen können muss. Es wird sicherlich viele Tischlereien geben, die sich die digitale Transformation nicht werden leisten können und dadurch wegbrechen. Dies bedauere ich sehr. Ich gehe davon aus, dass die Branche dadurch bereinigt wird.
Alles in allem sehe ich jedoch mehr Chancen als Probleme in der Digitalisierung. Nicht nur für Unternehmen und Kunden, auch für die Umwelt und für das Thema Nachhaltigkeit. Durch die digitale Transformation entfallen bspw. viele Autofahrten und wir verbrauchen weit weniger bis gar kein Papier mehr.
Was raten Sie Unternehmen, die noch ganz am Anfang der digitalen Transformation stehen?
Das Wichtigste ist die persönliche Einstellung: Unternehmer sollten dem Thema offen gegenüberstehen und den neuen Möglichkeiten mit Neugierde begegnen. Zuallererst sollte sich das Unternehmen fragen: Wo will ich als Unternehmen in den nächsten Jahren stehen? Welches Tool ist dafür das richtige? Dies ist nämlich für jedes Unternehmen ganz unterschiedlich. Die Unternehmensstrategie muss dabei unbedingt berücksichtigt werden.
Außerdem spielen die neuen Medien auch für das Marketing eine große Rolle. Mithilfe von Social-Media-Kanälen werden nämlich die Kunden von morgen angesprochen. Deshalb ist es unverzichtbar, in den unterschiedlichen Netzwerken über seine Arbeit zu berichten und transparent zu sein. Dies ist insbesondere für kleine Betriebe die große Chance, auch mit einem geringen Budget ihre Reichweite auszubauen.
Informieren können sich Interessierte auf einschlägigen Messen zum Thema Digitalisierung, bei den Handwerkskammern oder im Kompetenzzentrum digitales Handwerk vom Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) und natürlich ganz allgemein im Internet.